Kinderzeche

Dinkelsbühl

Ansbach

Bayern

Deutschland - Germany

Turnus

jährlich

Festausübung

N
aktuell

Geografie

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Ort

Dinkelsbühl

Kreis

Ansbach

Region

Bayern

Staat

Deutschland - Germany

Beschreibung


Die jährlich im Juli stattfindende, sogenannte "Kinderzeche" in Dinkelsbühl, einem der wichtigsten denkmalgeschützten Orte Deutschlands (die gesamte Altstadtanlage ist unverändert erhalten), ist nicht nur eines der größten, sondern in seinem Bedeutungswandel auch eines der entwicklungsgeschichtlich interessantesten Historienfeste im europäischen Vergleich.

Geschichte:
Der Name "Kinderzeche" leitet sich, so sagen die hierfür zuständigen Historiker, vom Auszug der Lateinschüler aus der Stadt auf eine Festwiese ab, wo die Scholaren am Ende der Unterrichtszeit eine "Zeche", ein Festgelage zum Abschluss und zum Beginn der Ferien abhielten. Schon aus dem 16. Jahrhundert scheint es Hinweise auf das Ereignis zu geben; schriftlich dokumentiert ist der Brauch dann ab dem Jahr 1629. Einer der Gründe, warum Jugendlichen und Kindern die Hauptrolle in der Gestaltung zukommt, liegt also darin, dass es sich zunächst um ein Schülerfest handelt, um einen Übergangsritus am Abschluss einer Ausbildungsstufe. Zur zentralen Figur des Festes überhaupt wurde jedoch später ein Blumenmädchen, bezeichnet als "(Kinder-) Lore". Die Darstellerin wird jedes Jahr unter den 14-17jährigen Dinkelsbühler Mädchen bestimmt; sie bildet den Anfang des Festzuges durch die Stadt und hat die Hauptrolle des Festspiels "Die Kinderzeche, das Volksfestspiel zu Dinkelsbühl", einem Laientheaterstück. Die Darstellerin der "Lore" repräsentiert eine mehr oder weniger sagenhafte, allerdings für die Stadt wichtige Geschichte aus den Gefahrenzeiten des Dreißigjährigen Krieges 1618-1648: Als es 1632 zur Besetzung Frankens durch schwedische Truppen kam und es um die Übergabeverhandlungen und Kontributionen für die Stadt ging, soll ein Bittzug der Kinder von Dinkelsbühl den Schwedischen Befehlshaber derart gerührt haben, dass Plünderung und Brandschatzung unterblieben (im Gegensatz zu anderen Städten). Die ganze Gefahrensituation wurde am Ende des 19. Jahrhunderts in ein Festspiel eingeschrieben, wo die Personifizierung des Mitleids gegenüber der Stadteinwohnerschaft in die Figur der "(Kinder-) Lore" eingesetzt wurde. Diese Hauptrolle und weitere Rollen werden als Ehrenaufgaben der Bürger betrachtet. Zu den wichtigen Bestandteilen des Festtages gehören außerdem die Aufführungen von Volkstänzen wie dem "Zunftreigen", bei dem Jugendliche und Erwachsenen in Trachtengewändern und Blumenkränzen die Repräsentationshandlungen vormoderner Handwerkstradition wiederaufleben lassen.

Im Zuge der aus der Romantik herrührenden Geschichts- und Mittelalterbegeisterung geriet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ästhetische Aufmerksamkeit zunehmend auf das Stadtbild von Dinkelsbühl. Mittelalterliche Stadtanlagen galten als schön und als attraktiv, insbesondere auch für den aufkommenden Fremdenverkehr. Zur Hebung des Tourismus und zur Förderung von "Handel und Wandel" wurde schließlich 1896 das Festspiel eingeführt, gerade auch deshalb, weil man den Erfolg des kurz vorher im benachbarten Rothenburg o.T. eingesetzten Festspiels "Schwedentrunk" vor Augen geführt bekam. Das zuerst 1895 vom Dinkelsbühler Pfarrer konzipierte Festspielstück konnte sich nicht dauerhaft etablieren, jedoch die Konzeption eines Lehrers von 1897- Ludwig Stark, der damals zugleich Regisseur in Rothenburg o.T. gewesen war -, gelangte zur Aufführung. Der Vortrag des Festspiels erklärt seitdem den Einheimischen wie den Fremden die Unversehrtheit des Altstadtensembles, eben seinen romantisch bewerteten "Schmuckstück-Charakter". Schon seit 1924 entstanden Konzeptionen, das Fest zu erweitern. Doch erst nach dem II. Weltkrieg wurde aus der Kinderzeche ein mehrtägiges Fest. Zum Jubiläum 1997 umfasste das Festprogramm ausnahmsweise einen ganzen Monat vom 20. Juni bis zum 27. Juli.

In der Dinkelsbühler "Kinderzeche" steckt nicht nur die Erinnerung an einen Schülerbrauch, sondern auch die heute spielerische, lokale Verarbeitung einer der beiden "Urkatastophen" Mitteleuropas, des Dreißigjährigen Krieges. Das heutige Fest ist vor allem aber eine Stereotypvermittlung: Es ist für Fremde wie für Einheimische die mit einer kleinen fränkischen Stadt fokussierte Darstellung eines der kennzeichnenden, in langer Dauer geprägten Idealbilder von Deutschland überhaupt, eines Idealbildes von Fachwerkbauten und Trachtenkostümen, mit dem sich zur Sommerferienzeit Deutschland seinen Besuchern und seinen Bewohnern vorstellt.

Referenzen

Arnold Gerfried: Die Kinderzeche zu Dinkelsbühl. 100 Jahre Festspiel. (= Jahrbuch des historischen Vereins "Alt-Dinkelsbühl", 1997).