Urbaniritt

Nürnberg

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25.05.2024 (25.5. (Fest des heiligen Urban))

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Turnus

jährlich

Festausübung

N
erloschen

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Geografie

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Ort

Nürnberg

Kreis

Nürnberg

Region

Bayern

Staat

Deutschland - Germany

Beschreibung


Dass auch nach der Abschaffung des allgemeinen Heiligenkultes in den protestantisch gewordenen Kommunen die Feier des Urbanstages zuweilen beibehalten worden ist, aber ganz anders gestaltet wurde, dafür bietet der Brauch des "Urbanireitens" in der großen Reichsstadt Nürnberg den interessantesten Beleg. Dies aus zwei Gründen: Zum einen, weil die ausgesprochen gute Untersuchungslage eine eingehende Beschreibung des Ablaufs erlaubt, zum anderen, weil sich hier die Umstände des Übergangs zur protestantischen Konfession unter weiterer Beibehaltung des Brauches am 25. Mai sowie seine Kritikpunkte aus evangelischer Sicht besonders klar zeigen und instruktiv darstellen lassen.

Nürnberg war 1524 evangelisch geworden. Im Zuge des Übergangs zum protestantischen Ritus schaffte man hier das blühende spätmittelalterliche Prozessionswesen ab. Die Kritik am "eusserlich geprenge" - d. h. an übertrieben luxuriöser Selbstdarstellung - in dieser Zeremonie diente dafür als eine der Begründungen. Seit 1525 durfte es in Nürnberg keine religiösen Prozessionen und Bittgänge ausserhalb der Kirchen geben, später nicht einmal mehr innerhalb der Kirchen.

Beim Nürnberger "Urbanireiten" zum 25. Mai handelte es sich nun nicht mehr um eine geregelte religiöse Prozession, sondern um eine von den städtischen "Weinschreiern" oder "Weinrufern" durchgeführte und von der Stadtobrigkeit länger geduldete Persiflage der Feier des Gedenktages des Heiligen Urban, Patron der Weinberufe. Hauptfigur des Umzuges zu den Wirtshäusern und Schankstuben war ein als "Urban" verkleideter und auf einem klapprigen Pferd herumgeführter Weinrufer, ein Vertreter also von denjenigen behördlichen Ausrufen, denen die öffentliche Ankündigung des Weinverkaufs und, gemäß ihrem öffentlichen Eid in Nürnberg, die zur Steuererhebung ("Umgeld", "Ungeld") notwendige Spundkontrolle in den Schankhäusern oblag.
Durchgeführt wurde das Nürnberger "Urbanireiten" zum 25. Mai ebenfalls von städtischen "Weinschreiern" oder "Weinrufern". Der Brauch ist über die "harte Quelle" der Ratsprotokolle dokumentiert seit den 1540er Jahren bis in die 1620er Jahre.
Die Stadt Nürnberg war seit langem auch für den Weinhandel ein Vermarktungs- und Verteilungszentrum bis weit über die fränkischen Lande hinaus. Entsprechend gewichtig war die Position der Weingewerbeberufe in der Stadt.
Einen Aufschluss über mögliche Gründe, weshalb der Urbanitag mit seinem Umzug nach der Etablierung der protestantischen Konfession und der Aufgabe der Verehrung für und der Fürbittgebete an Heilige als Festtag beibehalten wurde gibt uns ein Vermerk in den Ratsdekreten des Jahres 1546, 22. Mai. Dort heißt es, dass es den städtischen "Weinschreiern" gegönnt sein sollte, ihren Urban auf einem Pferd an die Gasthäuser herumzuführen ("biß montag mit Irm Vrban zun wirten herumb zereiten, altem prauch nach").
Bedeutsam erscheint es, dass der Brauch in den Ratsprotokollen schon als althergebracht bezeichnet wird und dies offensichtlich auch zur Begründung des Gewährenlassens dient. Die Angabe 'nach altem Brauch' ist zwar in Jahreszahlen weit dehnbar, kann 15, 20 oder auch über 100 Jahre Dauer bedeuten. Man wird hier zumindest sehr stark vermuten dürfen, dass es bereits vor der Reformation einen Umzug oder eine Prozession am Urbanstag in Nürnberg gegeben hatte.
Die Quellenstelle zeigt jedoch, dass man den Urbani-Umzug zwar nicht mehr mit den Kirchen und Altären verband, aber wohl seitens der Weinschreier und Küfer auf das Aufsuchen der Wirtshäuser - mit der damit sicher verknüpften Zehrung - nicht hatte verzichten wollen. Der Umzug war hier auch deutlich gemacht als Sache der Gilde der Weinberufe, nicht als Sache der Pfarrgemeinde und einer Bruderschaft. Ein Erlass zum nächsten Jahr, zwei Tage vor dem 25. Mai, macht den Charakter als Heischeumgang vollkommen klar, als der Nürnberger Rat das "Vrbans feßt" abstellen will und den Weinschreiern nur noch anheim stellt, sie möchten "Ir gerechtigkeit [d. m.: ihre Ansprüche] sonst bey den wirten einsamlen". Immer wieder tauchen die Unterbindungsbemühungen, die Kritik und die Gewährlassung des Urbanireitens in den Ratsprotokollen auf; die Bezeichnungen der protestantisch bestimmten Notate waren dabei klar wertend und nehmen analog das Vokabular auf, das auch anderwärts verwendet wurde: "heidnische" Handlung, "haidnisches Gauckl=Spiel", "Vrbansgötze", "Vrbans Bachus" etc.
Noch aus dem frühen 17. Jahrhundert aber gibt es Bildzeugnisse und Beschreibungen des Urbanireitens zum 25. Mai:
In den Materialien zur Nürnbergischen Geschichte des Altdorfer Rechtsprofessors Johann Christian Siebenkees taucht unter den dort publizierten "Miscellaneen" aus einer nicht näher bezeichneten Nürnbergischen Chronik des 17. Jahrhunderts eine Ablaufbeschreibung auf:

"Im J[ahre] 1614 den 25 May am tage Vrbanj, auß zulassung eines Erbarn Raths alhie, ist nach altem Brauch vnd gewohnheit, Niclaus Gulda, ein Weinschreyer, welchen man den Vrban nennet, vf einem dürren magern Rößlein, so ein schimel, Inn einen leinen gemahlten Rothen Kleid, vnd einer Narren=Kappen mit vielen Federn von mancherley Farben bestreit in der Statt alhie vmb vnd vor die Wirthshäuser geritten, deme ein Jeder Wirth, der Wein schencket, ein mas Wein, einen Drunck vnnd geld darzu gibt, Er der Vrban, hat in der Rechten Hand ein Kuttroffglaß vnd darinne ein schmecken, sitzt vnd stelt sich seltzam, Knappet, vnd wancket bald hinter, bald fur sich, ein weile auf diese, eine weil vf Jene seiten, wie ein voller Bauer, Juchzet auch bißweilen, vor Ihm her gehen Sackpfeiffen vnd schalmeyen, vnd ein Stattknecht, vnd einer in einem Roten schenck Rock vnd Hutt tregt vor dem Vrban her einen fichten Baum, der voller Kleiner spiegelein vnd gläßlein henget, Es tregt auch einer ein Silbern Becher, darauß der Vrban drinckt vnd den Bekanten zu drincken gibt, vnd neben gehet eine Maigdt mit einem tragkorbe, darinnen sind gläßlein vnd spiegel, dieselben verkaufft er, wirfft auch etliche vnter die kinder, die Ihm nachlauffen, vnd sich darumb reisen, der bauer, deß das Rößlein gewesen, ist neben her gangen, vnd dem Rößlein ein Büschelein hew fürgehalten, vnd dasselbe alleweil fressen, vnd sich stercken lassen. Hinter dem Vrban trugen Ir zwen in rothen Schenkröcken vnd Hüten ein Jeder ein grosse flaschen an einem stecken vber der Achsel, In welche sie den Wein gossen, den Ihnen die Wirthe gegeben, die pfeiffer haben für vnd an vf machen müssen, so lang er in der Statt vmbgeritten, ein grosser hauffen Buben vnnd Kinder sind mit gelauffen, welche immer Ihm zugeschrien, Vrban du must in Trog, Vrban du must in Trog, den wenn es am selben Tage eines Vmbzugs regnet, so wird der Reuter, der sich den Vrban nennen lest, vf den Abend in einen Trog mit Wasser geworffen, den man meinet, der Wein werde denselben herbst nit wol gerathen, Regnet es aber am Tage Vrban nicht, vnd ist schön Wetter, so ist gute hoffnung, es werde ein gut Wein Jar, vnd ein Reicher herbst werden, der Vrban aber wird dennoch von oben auß den häußern herab mit Wasser begossen, das er vnd sein pferdlein trieff naß werden, vf den abent sind sie bey dem ersammleten Geld vnd Wein miteinander lustig vnd trucknen sich wider, dises jar ist der Vrban bey dem Hanß Gresels wirth zum Roten Krebs in der Kottgassen auß, vnd vf den abent auch wider eingeritten, vnd mit seinen vfwartern ein fröliche Malzeit gehalten."

Der Wassertrog, in den der Urban getaucht wurde, stand nach Siebenkees' Angaben nahe bei der Kirche St. Lorenz neben dem "Solling'schen Hause", also mitten im Zentrum Nürnbergs.
Die eben referierte Beschreibung hat im 19. Jahrhundert, als das Urbani-Reiten längst Geschichte war, noch einmal außerhalb des eigentlichen Termins eine Rolle gespielt als Teil-Vorlage von Fastnachtsscherzen.
Es sind mehrere Abbildungen aus der Zeit um 1600 überliefert. Ein wichtiges Detail darauf zeigt, dass der Spieler der Urbanfigur eine stilisierte Papstkrone, eine Tiara auf dem Kopf aufgesetzt hatte. Die Zeichner haben darunter umhertollende Hunde und springende Kinder in den Vordergrund gerückt ¿ so wird die Persiflage, die fehlende Seriosität der Handlung deutlich dargestellt.

Seit 1628 gilt das Nürnberger Urbanireiten - mit einem letzten, rigorosen Verbot durch den Rat - als erloschen. Reine Heischegänge am 25. Mai (ohne "herumb reiten" und "heidnische Üppigkeiten") wurden noch erlaubt, bekamen aber ohne Urban-Aufführung den Charakter nur der Bettelei und wurden 1635 ebenfalls verboten. Ob die Unterbindung letztendlich mit der Parteiung zur protestantischen Seite im 30jährigen Krieg und dessen Nöten zusammenhängt - 1632 hielten schwedische Truppen Einzug in Nürnberg, 1634 war ein Pestjahr in der Stadt - geht aus der Notiz im Ratsprotokoll nicht hervor. Naheliegend ist dieser Zusammenhang jedoch.

Die Angaben zur Durchführung und Beteiligung am Urbanumzug in Nürnberg zeigt wieder eine Berufsgruppe als Träger. Es war hier die sozial niedrig stehende Gruppe der Weinrufer. Die Darstellung von Heiligen als Schimmelreiter war verbreitet und ist nicht nur von St. Martin bekannt (wo das Pferd zur Ausstattung und zur Legende gehört), auch von Nikolaus, Michael, Jakobus de Compostela.
Ganz allgemein phänomenologisch und übergreifend gesprochen, tritt uns hier aber ein Merkmal von Festen überhaupt entgegen, die Freigiebigkeit. Unter dem besonderen Aspekt des Heischens ist dies hier verbrieft. Er spiegelt sich sogar im Bereich der als Recht beanspruchten Notdurft. So deutlich und so oft belegt wie hier kommt er nur hier zum Vorschein; es war allerdings nichts Ungewöhnliches. Auch von Kinderumzügen wird berichtet, der mit dem Spenden von Urbanswecken für die Kinder verbunden war, zum Beispiel aus dem ebenfalls fränkischen Ort Etwashausen um die Mitte des 16. Jahrhunderts.
Ursprünglich, in seiner seriösen Form, mag diese verbriefte Handlung dazu beigetragen haben, dass die Kinder sich den Tag und den Anlass einprägten (wie wir das von weiteren Rechtsakten kennen, die ein solches Brauchelement enthielten).

Der Aspekt des Heischens führt uns wieder zur Bestimmung der Trägergruppe; die Gruppe der "Weinrufer" stand am unteren Ende der Skala derjenigen, die in einer Stadt aus dem Wein- und Winzergewerbe Einkünfte erzielten. Georg Schreiber schreibt in seiner "Deutschen Weingeschichte" über die Weinschreier bzw. "Weinruoffer": "Solche mittelalterlichen Ausrufer im Weinhandel ¿ waren von der Groß- bis zur Kleinstadt und zum Dorf bekannt. Die Wirte pflegten sie zu verköstigen und bezahlten sie nach der abgesetzten Menge." Es ist offensichtlich, dass diese Leute auch eine Art von Werbung für den Ausschank machten und somit die Verköstigung durch die Wirte einen sinnhaften Hintergrund erhält.
Als ergiebiges Detail in solch' weiter gespannten Zusammenhängen, nämlich in den argumentativen Auseinandersetzungen der Reformation, zeigt sich hier die Wahl des Vokabulars und die darin zum Ausdruck kommende Bewertung. Von "haidnische(m) Gauckl=Spiel" und von "Vrbans Bachus", von "abgot vnd Weinheiling" war oben die Rede bei den Verbotsbemühungen der Stadtobrigkeit, und 1617 und 1623 noch einmal von "Urbansgötze". Damit ist wörtlich dasjenige Vokabular hier, in den Ratsprotokollen der Reichsstadt Nürnberg, wieder aufgenommen, das bereits in den gelehrten satirischen Argumentationen etwa eines Johann Agricola oder Thomas Naogeorgus begegnet. Die Diffamierung des ehemaligen religiösen Inhalts in Nürnberg hat sich also genau - in einer Adaption eins zu eins - an diesen Bewertungen orientiert.

Referenzen

Werner Lühmann: St. Urban. Beiträge zur Vita und Legende, zum Brauchtum und zur Ikonographie (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg; Bd. XIX). Würzburg 1968.