Blumenkarneval / Virágkarnevál

Debrecen

Debreceni

Hajdú-Bihar

Magyarország - Hungary

Turnus

jährlich

Festausübung

N
aktuell

Allg. Festbeschreibung

Geografie

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Ort

Debrecen

Kreis

Debreceni

Region

Hajdú-Bihar

Staat

Magyarország - Hungary

Beschreibung


In der zweigrößten ungarischen Stadt Debrecen feiert man seit 1966 das landesweit bekannte Fest "Debrecener Blumenkarneval" (Debreceni Virágkarnevál). Das Fest hat keine Relation zu Fasching, es findet mitten im Sommer, am St.-Stephanstag (20. August) statt. Wegen des karnevalesken Umzugs und der charakteristischen Blumenwägen wird es "Blumenkarneval" genannt. Das Programm erstreckt sich heute bereits über mehrere Tage - im Festjahr 2006, in dem unsere teilnehmende Beobachtung stattfand und auf die wir uns in der unten folgenden Darstellung beziehen, feierte man gar eine Blumenkarneval-Woche. Hauptfeiertag ist jedoch immer der 20. August, an dem der Umzug der alljährlich aufwendig vorbereiteten und mit neuen Motiven geschmückten Blumenwägen stattfindet.

Ablauf:
Bereits Monate vor dem Fest beginnt die Vorbereitung der rund 20 Umzugswägen. Auf den bis ca. 4-5 Meter langen Umzugswägen, die als rollende Schaubühnen fungieren, werden verschiedene, zum Teil aktuelle Ereignisse des Jahres und historische Themen durch große und pittoreske Stehbild-Arrangements inszeniert. Hierzu werden meterhohe Styroporfiguren verwendet, deren volle Oberfläche mit trockenen bzw. frischgeschnittenen Blütenköpfen aller Farben ausgelegt wird. Die meisten Wägen werden, dem Überraschungseffekt zuliebe, an nicht öffentlichen Plätzen vorbereitet - mit einer Ausnahme: der Wagen der Gastgeber-Stadt Debrecen wird vor aller Öffentlichkeit vollendet. Bereits am Vorabend des Festes wird das halbfertige Werk zur Schau gestellt, ja sogar vom Publikum mit aufgebaut. Schauplatz dafür ist die Fußgängerzone vor der reformierten Kirche im Herzen der Stadt. An diesem "Jedermanns-Wagen" dürfen alle mitschmücken. Hierzu werden die vorher getrockneten, nach Farben sortierten und auf Schaumstofftafeln aufgespießten Blütenköpfe verwendet, die an den Figuren nach einem Plan angebracht werden. Das Arrangement symbolisiert die Stadt durch ihre Wahrzeichen. Am wichtigsten dabei sind die Darstellungen der Großen Reformierten Kirche und zwei "Heiducken" mit typischem Mantelumhang und Heiducken-Hut, die zugleich für die unweit von Debrecen liegende, berühmte "Hortobágy"-Puszta stehen (Heiducken = Viehhirtenvolk, das im Umkreis von Debrecen ansässig war).

Am Umzugstag nehmen die Debrecener Bürger und die vielen angereisten Besucher bereits sehr früh ihre Plätze ein, rechts und links entlang der etwa fünf Kilometer langen traditionellen Umzugsstrecke, die durch eine Hauptverkehrsader der Stadt zieht. Die meisten Besucher versammeln sich im Stadtzentrum bei einer hohen Haupttribüne, wo auch die Fachjury ihren Platz hat.
Gegen 8 Uhr morgens beginnt der Umzug der geschmückten Blumenwägen, die etwa in einem Viertelstundentakt aufeinander folgen. Sie werden von Tanz- oder Folkloregruppen verschiedener Nationalität begleitet. (2006 kamen diese aus Spanien, Italien, Bulgarien, Portugal, Dänemark, Griechenland, Israel, Serbien, aus der Türkei und Mazedonien.)

Vorne weg rollen zwei Blumenwägen, die außer Konkurrenz stehen: Der Eröffnungswagen ist ein pittoreskes Wappenarrangement mit Fanfarenbläsern, gefolgt vom Wagen mit dem markanten Motiv der Stephanskrone. Auf einem Kissen ruht die aus Blumen in allen Details nachgebaute überdimensionale Krone von ca. zwei Meter Umfang. Daneben befinden sich die übrigen ungarischen Krönungsinsignien, wie Reichsapfel und Szepter, ebenfalls in entsprechender Vergrößerung. Diese Standardsymbole des Karnevals haben seit 1989 alljährlich die Funktion, den Nationalfeiertag inhaltlich zu vergegenwärtigen: durch die Krönungssymbole wird Verbindung zum ersten christlichen König Ungarns, zu St. Stephan und zu seinem Hauptwerk, der Staatsgründung Ungarns hergestellt. (Zu diesem Thema vgl. weitere ungarische Feste am St. Stephanstag, am 20. August in Budapest und in Székesfehérvár).

Nach dem Eröffnungswagen folgen hintereinander die alljährlich neu gestalteten Wagenkreationen: 2006 standen 16 Wagen im Wettbewerb (siehe Abbildungen). Der Wagen der EURO-Fachmittelschule mit der Nachempfindung einer bewegt-horriblen Harry-Potter-Fantasy-Szene. Neben visueller Unterhaltung ist aber auch Gedenken durch visuelle Symbolik Ziel: Wagen Nr. 8 der Auto-Eskort G.m.b.H Ford greift das Jubiläum des sog. Bocskai-Aufstandes von 1606 mit der Darstellung historischer Figuren auf. Die Inszenierung des Hotel Civis (Nr. 10) greift das Todesjahr des ungarischen Komponisten und Volksliedforschers Béla Bartók u.a. mit der Darstellung des von Bartók häufig verwendeten Fonografen auf. Für die Firma "Takarékszövetkezet" (Sparkasse) ist bereits eine Tradition etabliert mit der Bienenfigur als Spar-Symbol: im Beobachtungsjahr (Nr. 11) wurden die freundlichen Bienen, mit einem riesigen Honigtopf dargestellt, allerdings einer weiteren Gruppe von hässlichen, schwarz-lila Insekten gegenübergestellt - vielleicht den zu besiegenden Bösen? Die Ungarische Post wählte eine Schulszene (Nr. 9): Der Postmann zeigt den in Bänken sitzenden begeisterten Schülern eine an die Tafel gepinnte Briefmarke mir der Aufschrift "Ahány ember, annyi bélyeg" - "Soviele Menschen - soviele Briefmarken". Ein aktuelles Ereignis stellte Wagen Nr. 13 dar: Anlässlich des Welttreffens ungarischer Reformierten ließ die Reformierte Diözese einen Wagen mit Glockeninszenierung erstellen, umstellt von jungen in ungarische Tracht gekleideten Männern und Frauen. Die als "Glockengravur" erscheinenden Jahreszahlen markieren dabei wichtige historische Ereignisse (u.a. 1538 - Religionsstreit von Segesvár / heute Sigisoara). Eine verspielte Szene stellte hingegen der Wagen des Wasserwirtschaftsunternehmens AKSD mit großen Tierfiguren (Bären und Hasen im Garten) dar.
Am Nachmittag und am Abend wiederholt sich der Umzug im Stadion und durch die Stadt, sodass diejenigen, die später in Debrecen eintreffen, den Blumenkarneval auch miterleben können.

In einer Umzugspause am Nachmittag findet der "Gerundium"-Wettbewerb statt. "Gerundium" heißt ein schwerer Holzstock, der beim Feuerlöschen verwendet wurde. Das Wortspiel, das sich auf das grammatische Gerundium bezieht, greift den Schülerjargon und somit das rege studentische Leben der Stadt spielerisch auf: Der Feuerlöscher-Stock sei so schwer, wie das Gerundium in der Grammatik!
Der Kraftwettberwerb findet auf der Bühne statt: nach einer vorangehenden Anmeldung werden die Kandidaten hintereinander auf die Bühne gerufen, wo sie den Gerundium-Stock mit einer Hand möglichst lang hochhalten müssen, während die Minuten und Sekunden gezählt werden. Am Ende wird der Gewinner bekannt gegeben (in der Regel ein Mann, doch am Wettbewerb nehmen spaßhalber auch Frauen teil).

Der Blumenkarneval wird alljährlich nicht nur im lokalen Fernsehen, sondern durch Webkamera im Internet zugänglich gemacht. Neben der Jury können auch Besucher und die Zuschauer Ihre Stimme per SMS abgeben.

Geschichte:
Einen ersten Umzug mit Blumenwägen gab es bereits 1905, als 23 Wägen angeführt von einem Pferdgespann durch die Stadt gezogen sind. Die abgebrochene Tradition wurde in den 1960er Jahren wieder aufgegriffen: Der Debrecener Blumenkarneval ist somit eines der wenigen Feste, das auf eine in der Diktatur entstandene Tradition zurückgeht.
Die Kommunalregierung regte damals an, dass die größeren Betriebe der Stadt jeweils einen Blumenwagen "im Zeichen des Friedens zwischen den Völkern" erstellen sollten. Betrieben, die sich nicht freiwillig meldeten, wurde nahe gelegt, teilzunehmen, sodass beim ersten Fest 25 Blumenwägen zusammenkamen. Ziel war auch, sich weltoffen und friedensfreudig zu präsentieren, dazu wurden Themen aus der Weltpolitik aufgegriffen und exotische Kulturen zum Mitmarschieren eingeladen. Viel Aufmerksamkeit bekam die 2,7 m hohe und 8 Meter lange Darstellung der neuen Elisabethbrücke aus Budapest. 1975 war ein Blumenwagen mit der Aufschrift "Für den Erfolg des Fünfjahresplanes" mit Sichel und Hammer geschmückt und ein weiterer mit dem Motto "Frieden für die Welt!" 1977 marschierten u.a. Pioniere in Reih und Glied auf. Doch die sozialistischen Parolen wurden in den 1980er Jahren allmählich durch unterhaltende Tanz- und Folkloregruppen und karnevaleske Arrangements abgelöst. 1984 waren es z.B. junge Frauen in bunten Kleidern und kurzen Röcken, die den Zuschauern zuwinkten. 1986 war das Motiv der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko im Vordergrund, vertreten durch eine Figur mit übergroßem mexikanischem Hut und verkleideten Fussballstar-Darstellern (Diego Maradona und andere).

Seit der politischen Wende sind Thema und Darstellung völlig frei, es ist jedoch heute auch so, dass die Blumenwägen Betriebe, Firmen oder Institutionen repräsentieren. Die Vorbereitung der Blumenwägen wird mit großem Aufwand betrieben: für die Blumenwägen sollen bis zu drei Millionen Blumen verwendet worden sein. Da die Blumenwägen teilweise von Firmen gesponsert werden, mischt sich entsprechende Werbung in die szenische Darstellung, wie z.B. im Falle eines großen Einkaufzentrums, eines Autohauses oder eines bekannten Luxus-Hotels der Stadt.
Die Blumenkarnevalwoche wird für Ausstellungen von Floristen und Gärtnereien sowie Gespräch- und Informationstische verschiedener Veranstalter und viele Musik-, Folklore- und Kinderprogramme genutzt.

Referenzen

Csilla Schell / Johannes-Künzig-Insitut, Goethestr. 63, 79100 Freiburg i.Br.