Chalandamarz
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Beschreibung
"Chalandamarz" bezeichnet in der rätoromanischen Sprache den Beginn des Monats März. Am 1. März (und an manchen Orten an den Tagen zuvor oder danach) versammeln sich im Schweizer Engadin (Engiadina), Münstertal (Val Müstair), Bergell, Puschlav, Misox, Oberhalbstein und Albutal die Schulkinder schon frühmorgens, um mit Schellen- und Glockenklang sowie Frühlingsliedern, gesungen in ihrer Muttersprache (Rätoromanisch), den Winter auszutreiben und den Frühling zu begrüßen.
Von Dorf zu Dorf wird dieser Brauch, der seit dem frühen 19. Jahrhundert belegt ist, unterschiedlich gestaltet. Die Schulkinder treten in (blauen) Bauernblusen, (roten) Zipfelmützen und teilweise in Trachten auf und sind mit Schellen (oder fallweise Peitschen) ausgestattet. Sie ziehen schellend von Platz zu Platz, Haus zu Haus, gelegentlich um die Dorfbrunnen und singen an jeder Station Chalandamarz-Lieder. Das bekannteste Lied – "Chalanda marz, chaland’avrigl" stammt aus dem "Calvenspiel" (1899) und wurde von Otto Barblan (1860–1943) komponiert. Andere Chalandamarz-Lieder sind als Kontrafakturen und Varianten von alpenländischen und deutschen Volksliedern (z.B. "Auf, auf zum fröhlichen Jagen", "Wohlauf in Gottes schöne Welt" u.a.) erkennbar. Die beim Singen eingesammelten Spenden werden meist für eine abendliche Feier oder für Schulveranstaltungen verwendet. Organisatoren sind die Schulen eines Ortes, die Ausführenden sind aber die Schulkinder alleine.
Festablauf in Sent:
Der Brauch, der sich auf mehreren Plätzen des Ortes und bevorzugt auf jenen, auf denen sich ein Brunnen befindet, immer gleich abspielt, hat in Sent folgenden Ablauf: Der Gruppe der mit Schellen lärmenden bzw. singenden Kinder (schätzungsweise ca. 50, wobei sich die Gruppe im Laufe der Zeit vergrößert) gehen drei bis vier Buben mit Peitschen voran. Sie kündigen das Ankommen der Sänger(innen)-Gruppe an, indem sie zu zweit, dritt oder alle vier das Peitschenknallen ausüben. Die Gruppe, bestehend aus Mädchen und Buben, folgt mit etwas Abstand. Die meisten Kinder tragen blaue Bündner Hemden, Halstücher und rote Mützen sowie Schellen – meist Kuhschellen und nur vereinzelt Glocken – an Gurten um die Körpermitte, wobei die Schellen verschiedener Größe (meist nur eine Schelle pro Kind) vorderständig angebracht sind und mit beiden Händen geläutet werden können. Manche Kinder sind zudem mit bunten Papierblumen geschmückt. Für die Kostümierung mit blauen Hemden gibt es keine Bezeichnung. Nur zwei größere Mädchen sowie vier größere Buben waren wie Senninen bzw. Alphirten gekleidet. Die Buben im Hirtenkostüm rauchten zudem Pfeife. Auch für diese Rolle gibt es keine eigene Bezeichnung. Manche jüngeren Kinder waren als Zwerge verkleidet. Zwei größere Buben trugen keine Schellen, sondern sammelten bei den Zuschauern Geld ein und führten Listen.
Die Kinder formierten sich nun in drei bis vier Reihen, wie ein Chor, zum Gesang. Die älteren Kinder in den Hirtenkostümen wechselten sich in der Leitung des Gesanges ab und verwendeten zum Anstimmen der Töne eine Stimmpfeife. Ferner hielten sie ein Blatt mit den Liedtiteln in Händen. Pro Station folgten nun ein bis drei Lieder auf Rätoromanisch, zwei und dreistimmig gesungen. Die Lieder – etwa zehn an der Zahl – handeln vom Frühling. An jedem Aufführungsplatz wird spontan entschieden, welches Lied man singen möchte. Nach jedem Lied werden die Schellen geschlagen, jedoch nicht systematisch. Schellenschlagend zieht die Gruppe, meist in Zweier- und Dreierreihen, nach dem Gesang zum jeweils nächsten Aufführungsplatz. Die Peitschenknaller eilen voraus. Das Publikum – Verwandte, Freunde, Nachbarn und nur wenige auswärtige Gäste – folgen der Gruppe und stets kommt neues Publikum hinzu. Auffallend ist, dass die Kindergruppe allein, ohne Anleitung von Erwachsenen, agierte.
Text, Rec. & Film: Thomas Nussbaumer, Universität Mozarteum Salzburg in Innsbruck
Team der Feldforschung: Thomas Nußbaumer, Andrea Kammermann, Peter Oberosler, Yannick Wey