Narrengericht
Dieses Jahr
27.02.2025 (Donnerstag vor der Fastnacht = Weiberfastnacht) - 27.02.2025 (Donnerstag vor der Fastnacht = Weiberfastnacht), 23.02.2025 (Sonntag Sexagesima = 2. Sonntag vor der Fastenzeit) - 23.02.2025 (Sonntag Sexagesima = 2. Sonntag vor der Fastenzeit)Nächstes Jahr
12.02.2026 (Donnerstag vor der Fastnacht = Weiberfastnacht) - 12.02.2026 (Donnerstag vor der Fastnacht = Weiberfastnacht), 08.02.2026 (Sonntag Sexagesima = 2. Sonntag vor der Fastenzeit) - 08.02.2026 (Sonntag Sexagesima = 2. Sonntag vor der Fastenzeit)Turnus
alle 4 Jahre
Festausübung
aktuell
Allg. Festbeschreibung
Geografie
Ort
Kreis
Region
Staat
Beschreibung
Ablauf:
In dem kleinen Ort Grosselfingen, unweit der Burg Hohenzollern, hat sich mit dem "Ehrsamen Narrengericht" ein erstaunlich differenziertes, buntes Fastnachtsspiel erhalten, das von einer religiös begründeten Bruderschaft getragen wird. Es wird alle fünf Jahre aufgeführt, hat rund 400 ausschließlich männliche Mitwirkende und kennt mehr als drei Dutzend fest umrissene Rollen, "Chargen" genannt. Für die Dauer des närrischen Spektakels wird das gesamte Dorf zum "Venezianischen Reich" mit eigener Rechtsordnung erklärt. Die Akteure nennen sich dementsprechend "Herren von Venedig", und die einzige gültige Grußformel lautet ganztägig: "Guten Morgen, ihr Brüder".
Jeweils am Vortag des Spiels, also am Samstag vor Fastnachtssamstag und am Mittwoch vor dem Schmotzigen Donnerstag, kündigt sich das Geschehen des Folgetages durch das so genannte "Rombalge", ein wildes Treiben der Träger der so genannten "Gassenrollen" an. Am Morgen des ersten Aufführungstags, des Schmotzigen Donnerstags, feiern die Mitglieder der Bruderschaft ein gestiftetes Seelenamt und Lobamt in der Pfarrkirche.
Um die Mittagszeit werden dann in geordnetem Zug zunächst die höheren Chargen von ihren Häusern abgeholt: der Fähnrich mit der Standarte, der Major, die Bäder als Vollstrecker der Rechtsordnung des Venezianischen Reichs und endlich der Narrenvogt als oberster Repräsentant des gesamten Geschehens. Dann defilieren alle Chargen zum Marktplatz: die Geißelläufer als Platzmacher, die Edelknaben, die Stabläufer, der Platzmajor, die Doktoren und Profosen, die Schar der schwarz gekleideten, mit Textilmasken vermummten und mit bunten Bändern verzierten "Butzen", in ihrer Mitte das Narrenrössle, ein von einem "Butz" getragenes kleines Steckenpferd, das von den Nagelschmied und Stallknecht begleitet wird, die Bäder, der Narrenvogt mit seinen Pagen, die Trommler und Pfeifer, die Husaren in verschiedenen Farben, Jäger, Bäcker, Zimmerleute, Gärtner, Tiroler und andere mehr und ungeordnet dazwischen herumlaufend die Gassenrollen - Wegräumer, Geigerle und Hanswurste.
Nach der Verkündigung der "Venezianischen Reichsordnung" auf dem Marktplatz und dem gemeinsamen Singen des Bruderschaftslieds begibt sich der Narrenvogt mit seinem Gefolge ins Gerichtsgebäude, wo allerlei Honoratioren und Amtspersonen des realen Alltagslebens, die vorher unter fiktiven Beschuldigungen verhaftet worden sind, sich wegen ihrer angeblichen Missetaten in der Vergangenheit verantworten müssen. Die ausgesprochenen Strafen werden in der Regel in Geld beglichen oder durch einen symbolischen Pritschenschlag auf der Pritschenbank verbüßt, den übrigens stellvertretend für den Delinquenten ein Mitspieler in einer der Gassenrollen entgegennimmt. Noch während der Gerichtsverhandlungen wird in einem simultanen Handlungsteil von eigens dazu ausersehenen Chargen beim Pfarrer der "Krauthafen" abgeholt, ein riesiger Topf mit Sauerkraut und gekochten Schweineschwänzchen. Den Höhepunkt der Ereignisse leitet schließlich auf dem Festplatz die Ankunft des "Sommervogels" ein, über dessen Identität - es handelt sich um eine weiße Taube - der Narrenvogt und der Gemeindevogt, der Bürgermeister also, ein Streitgespräch führen. Nach der Bestätigung der Echtheit des Sommervogels mit dem Reim des Gemeindevogts "Der Vogel in dem Käfig, der ist ja aus Venedig" spitzt sich die Dramatik nochmals zu, weil just, während alle Chargen ihm huldigen, der Sommervogel in einem unbewachten Augeblick von zwei Räubern gestohlen wird. Es folgt ein wildes Durcheinander, die Jäger feuern Gewehrsalven ab. Dann werden die Räuber gestellt und gefangen. Umgehend wird ihr Verbrechen geahndet. Der Narrenvogt bricht den Stab über sie und verurteilt sie zu einem kalten Bad im Dorfbrunnen, dessen Wasseroberfläche zuvor mit brennenden Strohbüscheln "angewärmt" wird. Erst wenn die beiden Frevler im Brunnen gelandet sind, der Sommervogel freigelassen und der "Narrenvogt" wieder nach Hause gebracht worden ist, endet das Spiel. Alle Bruderschaftsmitglieder haben danach ihre Kostüme sofort abzulegen.
Geschichte:
Die Quellenlage zum Grosselfinger Narrengericht ist in ihrer Dichte einmalig. Während sich die Geschichte so gut wie aller Traditionsfastnachten nur mühsam und bruchstückhaft aus obrigkeitlichen Verboten und Strafmandaten und damit aus negativen Zeugnissen rekonstruieren lässt, verfügt Grosselfingen gleich über eine ganze Reihe von positiven Dokumenten, die zudem höchst ausführlich und informativ sind. Da gibt es zunächst die Gründungsurkunde mit dem Aufführungsprivileg des Narrengerichts, deren Original zwar verschollen ist, die aber einer Abschrift von 1740 zufolge bereits 1605 das erste Mal erneuert worden war und somit ihrem Kern nach noch um einiges weiter zurückreichen muss. Als ältestes im Original erhaltenes Dokument existieren sodann die Statuten der Marienbruderschaft des Narrengerichts von 1623, die seit vielen Generationen niemand mehr gesehen hatte und die erst 1995 im Staatsarchiv Sigmaringen wieder aufgefunden wurden. Weiter besitzt Grosselfingen im 1728 angelegten Narrengerichtsbuch mit seinen über 100 handschriftlichen Textseiten, das sich traditionsgemäß immer in der Obhut des jeweiligen "Narrenvogts" befindet, eine detaillierte Quelle zur Brauchentwicklung. Und schließlich rundet sich das Bild noch durch diverse Jahrtagsstiftungsbriefe des Narrengerichts, deren ältester, leider nur in Kopie erhalten, von 1706 stammt. Laufende Bestätigungen und Erneuerungen der Jahrtagsstiftungen aus dem 18. sowie zahlreiche Nachrichten aus dem 19. Jahrhundert zeugen von den durchgängigen Aktivitäten der Bruderschaft und damit auch von der Kontinuität des Narrengerichts bis auf den heutigen Tag.
Referenzen
Werner Mezger: Das große Buch der schwäbisch-alemannischen Fasnet, Stuttgart 1999, S. 35 f.


